Will man bei Wikipedia etwas über die Geschichte des deutschen Schwimmunterrichts erfahren, findet man folgendes:
Ab 1810 fand der Schwimmunterricht als Massenunterricht, zunächst in Militärschwimmschulen, statt. Im Deutschen Reich gelang erst um 1925 die Loslösung von der mechanistischen Sicht des Schwimmenlernens durch Kurt Wiessner. Dieser räumte der Wassergewöhnung wieder einen höheren Stellenwert ein und war ein Verfechter des gerätelosen Schwimmunterrichts. Statt mit Zählkommandos ließ er die Schüler die Bewegungsabläufe schwungvoll und von Anfang an im Wasser ausführen. Er gilt damit als Wegbereiter der modernen deutschen Schwimmausbildung, die mit Brustschwimmen beginnt.
Diese Praxis wird einerseits von Sportpädagogen seit Jahren als veraltet und nicht kindgerecht kritisiert, ist aber in der Praxis nach wie vor im deutschsprachigen Raum weitestgehend üblich.
Aktuell wird in den Führungsebenen der deutschen Schwimmlehrinstitutionen das Brustschwimmen als Erstschwimmart zumindest in Frage gestellt – nur die DLRG-Führung (Deutsche Lebensrettungs Gesellschaft) beharrt ausdrücklich auf dem Brustschwimmen. Umfragen des Bundesverbandes für Aquapädagogik –BvAP unter Praktikern (Lehrer, Schwimmmeister, Übungsleiter des DSV (Deutscher Schwimmverband) und DLRG bestätigen jedoch, dass deutschlandweit (und ebenso in Österreich, Schweiz und Ungarn) nach Aussagen der befragten Fachleute das Brustschwimmen zu 80 bis 90% nicht nur zuerst, sondern meist ausschließlich gelehrt wird.
Der Aquapädagogik nahestehende Sportpädagogen sehen im Brustschwimmen wesentliche Nachteile:mehr
1. Weil die nötigen motorischen Fähigkeiten in Hüft-, Knie- und vor allem Fußgelenken naturgemäß bei jungen Kindern noch nicht komplett entwickelt sind, führt das Erlernen der korrekten Beinbewegungen des Brustschwimmens (als Grätsche oder Froschbewegungen bekannt) nur selten zum Erfolg. Das wirkt sich besonders bei jungen, zögerlichen und ängstlichen Kindern zwischen ca. drei bis sechs Jahren (aber auch bei zahlreichen älteren Anfängern) aus, die sich allein auf Grund ihres Entwicklungsstandes kaum auf das komplexe Bewegungsmuster konzentrieren können. Den Befürwortern des Brustschwimmens ist das bekannt und daher vertritt man dort die Meinung, Kinder können frühestens im Alter von fünf Jahren schwimmen lernen. Der Unterricht in den Schulen wird meist im dritten oder vierten Schuljahr durchgeführt. Das kuriose Ergebnis: Obwohl das Brustschwimmen mit weitem Abstand „bevorzugt“ gelehrt wird, beherrschen anschließend die wenigsten Normalschwimmer symmetrische Beinbewegungen.
2. Die DLRG-Verantwortlichen meinen ferner, dass beim Schwimmen die hohe Kopfhaltung über Wasser nötig ist, weil nur so eine Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler möglich ist. Ferner verweisen sie auf die Tatsache, dass jüngere Kinder meist noch den Nachteil des vergleichsweise großen Kopfes mitbringen, den sie nur sehr kurzzeitig beim Brustschwimmen über Wasser halten können – beide Argumente sprechen für die DLRG zusätzlich für einen späten Beginn.
3. Zuerst werden meist die Beinbewegungen geübt, in der Regel an bzw. gegen einen festen Widerstand (Treppe oder Beckenrand), was den Schülern das Erleben des erzeugten Erfolges (Vortrieb) vorenthält. Daher wird diese Übung sehr schnell als langweilig/ demotivierend wahrgenommen und kaum Lernfreude und Ehrgeiz geweckt. Anschließend kommt das Schwimmbrett zum Einsatz, was wiederum bei den schwachen Schülern dazu führt, dass sie den Eindruck haben, sich nun vorwiegend auf die Kontrolle dieses als Lebensversicherung wahrgenommenen Geräts konzentrieren zu müssen und daher kaum ein Gedanke für die Aufgabe „Beinbewegungen“ frei bleibt.
4. Den größten akuten Minuspunkt des Brustschwimmens sehen die kritischen Sportpädagogen sowie Kinder-und Sportmediziner jedoch in der seit Mitte der sechziger Jahre üblichen Art der Beinbewegungen, der so genannten Schwunggrätsche. Bewegte man zuvor die Beine tatsächlich froschähnlich, d.h. mit weit geöffneten Knien, hält man beim kompletten Bewegungsablauf der Schwunggrätsche die Knie möglichst nahe aneinander bzw. geschlossen und führt mit Unterschenkeln und Füßen kreisähnliche Bewegungen aus. Diese Art zu Schwimmen ist deutlich schneller als die alte Variante, ließ zu Anfang alle Rekorde des Brustschwimmens explodieren und wird seither im sportlichen Bereich ausschließlich praktiziert. Doch hier arbeitet man gegen die Natur und gegen die kindliche Entwicklung! Es wird zwangsläufig versucht, den Kniegelenken, die von Natur aus als „Scharniergelenke“ funktionieren, die Fähigkeiten von Kugelgelenken anzutrainieren, denn nur so sind die kreisförmigen Bewegungen zu realisieren. Werden dazu bereits im Lehrbereich und erst recht im späteren Schwimmtraining sogar die Oberschenkel zusammen gebunden oder mit Zugapparaten und Gewichten trainiert und das, obwohl die Kinder noch mehrere Wachstumsphasen vor sich haben, begibt man sich nach Meinung der Kritiker in die Nähe von bewusster Körperverletzung.
5. Die Schwunggrätsche beinhaltet zusätzlich großes Potential für mögliche Spätfolgen – je intensiver trainiert wurde, je mehr: Unweigerlich werden die Innenbänder der Knie gedehnt bzw. überdehnt obwohl man weiß, dass sich überdehnte Bänder kaum wieder zurück entwickeln. Nur die mit den Bändern verbundenen Muskeln können die Straffung der Bänder übernehmen, was meist zuverlässig geschieht, so lange weiterhin trainiert wird. Die Probleme zeigen sich erst, wenn die Sportkarriere beendet ist, das Training deutlich reduziert wird und die Muskulatur erschlafft. Die Folgen: Instabile Kniegelenke (Schlackerknie) mit erhöhtem Verschleiß, vermehrtem Verletzungsrisiko und häufig ständigen Schmerzen.
6. Macht man als Normalschwimmer viele Jahre später schmerzvolle Erfahrungen mit den ersten Rückenbeschwerden, wird zur Therapie meist das Schwimmen als besonders gesunde Sportart empfohlen. Doch abgesehen vom Delphinschwimmen, was nur gute Schwimmsportler beherrschen, wird beim Brustschwimmen die Wirbelsäule besonders belastet. Brustschwimmen ist die einzige Schwimmart, deren Vortrieb vorwiegend durch die Beinbewegungen entsteht. Der Körper wird geschoben, die Wirbelsäule vor allem in der Problemzone Lendenwirbel im Takt der schiebenden Beinbewegungen mehr oder weniger intensiv und ruckartig gestaucht und somit die Bandscheiben weit mehr belastet als entlastet. Bei den anderen drei Sportschwimmarten (Kraul, Rücken und Delphin) wird der deutlich überwiegende Teil des Vortriebs durch die Arme erzeugt – der Körper wird vorn gezogen, die Wirbelsäule somit gestreckt und die Bandscheiben ständig entlastet.
7. Wer in dieser Situation zum deutlich überwiegenden Bevölkerungsteil gehört, der in Folge des herkömmlichen Schwimmunterrichts keine symmetrischen, parallelen, gleichförmigen – und damit „sportgerechten“ – Beinbewegungen durchführt, sondern mit der so genannten „Schere“ schwimmt, traktiert die Lendenwirbelsäule noch gravierender: Mit jeder regelmäßigen Stauchung ist dort unweigerlich eine zusätzliche Dreh/Querbewegung des Beckens verbunden, die sich für jede vorgeschädigte Bandscheibe äußerst negativ auswirken muss, d.h., die vorhandenen Rückenprobleme werden eher verstärkt als gelindert.
8. Hat man im Verlauf des bei Wikipedia als „modern“ bezeichneten deutschen Schwimmunterrichts nur die Fähigkeit erwerben können, sich in der Bauchlage ständig mit dem Kopf über Wasser zu bewegen, kommt ein weiterer Nachteil hinzu: Die Nacken- und Schultermuskulatur befindet sich ohne Entspannung im Dauereinsatz, was für diesen ebenfalls sehr sensiblen und oftmals bereits lädierten Rückenbereich zumindest gesundheitlich bedenklich ist. Als Vorteil bleibt dann nur noch die Möglichkeit der ungehinderten Kommunikation.
9. Zusätzlich sind sich die erfahrenen und vorausschauenden Schwimmexperten weltweit darin einig, dass das Brustschwimmen die koordinativ anspruchsvollste Schwimmart darstellt – unabhängig davon, welchen Lern-, Übungs- oder Trainingsbereich sie betreuen. Und weil sie ihren Schülern den Weg in sportgerechte Bewegungen nicht von Anfang an verbauen wollen, überlegen sie daher sehr genau, in welcher Reihenfolge sie ihre Schüler mit welchen Aufgaben konfrontieren. So bereitet neben den zuvor bereits aufgezeigten Problemen der „Grätsche“, dem noch sehr großen, schweren Kopf junger Kinder sowie den Belastungen von Gelenken und Wirbelsäule vielen Anfängern die Koordination, das Zusammenspiel von Arm- und Beinbewegungen sowie von Gesamtbewegung mit angepasster Atmung größte Schwierigkeiten. Ignoriert man diese Bedenken von Anfang an, missachtet man nicht nur den sportpädagogischen Grundsatz „Vom Leichten zum Schweren“ sondern vermittelt den Anfängern meist nur wenig mehr als die Fähigkeit, sich in der Bauchlage (allzu oft nur sehr unsicher) über Wasser halten zu können, was mit sicherem oder gar sportgerechtem Schwimmen kaum etwas gemein hat. Die Beweise erkennt man sofort bei jedem Besuch eines öffentlichen Schwimmbades auf jener Seite, wo sich die „Normalschwimmer“ tummeln.
Neben diesen spezifischen Nachteilen des Brustschwimmens bemängeln die kritischen Sportpädagogen weitere gravierende Schwachpunkte des herkömmlichen deutschen Schwimmunterrichts:
- Der Focus liegt nicht auf sicherem Schwimmen, sondern sofort auf sportgerechten Bewegungsmustern und zwar im Zusammenhang mit der schwierigsten Schwimmart, dem Brustschwimmen.
- Vielseitige Ausbildung erfolgt kaum, freie Bewegungsformen bzw. Mischformen sind verpönt. Derart schwimmende Kinder werden nicht selten trotz großer Wassersicherheit in Nichtschwimmergruppen beordert und mit schlechten Schulnoten bestraft.
- Immer weniger Übungsraum bewirkt oftmals, dass nur begabte Kinder ausreichend gefördert werden – die Ängstlichen, Schwachen bleiben zurück. Egoismen der verschiedenen Institutionen (die ihren Übungsleitern indirekt Scheuklappen und Maulkörbe verordnen) verhindern nicht nur den Blick über den Beckenrand sondern auch Kooperationen zur Effektivitätssteigerung des Unterrichts.
- Durch den späten Unterrichtsbeginn (Begründet durch das Beharren auf dem Brustschwimmen) werden mehrere Jahre Wassersicherheit und die reelle Chance auf eine deutliche Senkung der Ertrinkungsfälle verschenkt.
- Internationale Fachkongresse belegen seit rund zwanzig Jahren, dass der angeblich moderne deutsche Schwimmunterricht inzwischen als total veraltet, pädagogisch und medizinisch bedenklich und auch dem Sportschwimmen nicht dienlich ist. Bereits ebenso lange findet dort das in diesem Blog vorgestellte deutsche Alternativkonzept der “Aquapädagogik” Beachtung.
Hallo! Denke hier wurde nicht gut recherchiert. Also wir in Ö/ Eisenstadt fangen bei unseren Schwimmkursen nie mit Brustschwimmen an – Gründe dafür wurden ja oben bereits gennant. Wir starten immer mit Tauchen/Bauchlage/Rückenlage, Vorübungen für Kraul- und Rückenschwimmen. Auch viele andere Vereine in Ö starten so. Leider ist unter den Eltern noch immer weit verbreitet, dass nur Brudtschwimmen „richtiges Schwimmen“ ist.
Mit freundlichen Grüßen Renate Plangár