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Hier im Blog-Archiv finden Sie ältere Beiträge zum
Thema Aquapädagogik nach Jahren geordnet.


Übungsstätte und Hilfsmittel

von Uwe Legahn Veröffentlicht am 28.05.2018

Die Zentralbahnhofsatmosphäre eines Großbades – mit all seiner Unruhe, die gelegentlich zur beängstigenden Geräuschkulisse wird, mit den neuen (nicht immer Wohl-) Gerüchen, mit den »unheimlich« vielen, fast nackten, fremden Menschen – verursacht bei etlichen Kindern Beklemmungen. Wenn dazu auch noch zu niedrige Temperaturen kommen, dann müssen nicht selten auch jene Eltern, die bislang voller Stolz von ihren draufgängerischen Kindern berichteten, einsehen, dass ihre »Mini-Rambos« plötzlich als angeblich wasserscheue Babys dastehen.

Den zögerlichen Kindern wird man eigentlich immer einen großen Gefallen tun, wenn man ihnen den Start ins Wasser durch die Wahl eines überschaubaren, ungestörten Raumes erleichtern kann, in dem das »Wohlfühlen und Geborgensein« möglich ist.

Wenn ehemalige »wasserscheue Angsthasen« – die oft bereits an anderer Stelle einen »Fehlstart« erlebt haben – aufgrund der angenehmen, kindgerechten Atmosphäre in unserer Schwimmschule plötzlich zu den Überfliegern gehören, werden wir in den Augen der Eltern nicht selten zu Zauberern, was sicherlich sehr werbewirksam für die Schwimmschule ist. Mit etwas vorausschauender Überlegung können sich diese Erfolgserlebnisse genau so gut in der Familie entwickeln. Alle übrigen Kriterien wird man meist erst während des bereits laufenden Kurses erfahren. Natürlich wird am Ende auch der Preis eine Rolle spielen. Wenn es Ihnen die Sache wert ist, stellen Sie bei Ihren Überlegungen neben den unmittelbaren auch die späteren Vorteile (Freizeitgestaltung, Lebensqualität) in den Vordergrund. Sofern Sie eine private, kommerzielle Schwimmschule in Betracht ziehen und Ihnen die gelegentlich deutlich höheren Preise pro Übungsstunde auffallen, sollten Sie bedenken, dass diese Anbieter – im Gegensatz zu öffentlichen Schwimmbädern – nicht mit erheblichen Zuschüssen aus dem Steuertopf bedacht werden.  

Der folgende exemplarische Vergleich zwischen der Aquapädagogik und dem traditionellen Anfangsschwimmen soll als zusätzliche Hilfe bei der Suche nach einem optimalen Angebot dienen. Zur Verdeutlichung wurde bewusst polarisiert; diverse Mischformen sind bekannt.

AquapädagogikTraditioneller Ansatz
Ein vorheriges Probeschwimmen gibt Kindern, Eltern und Lehrkräften die Gewissheit, »das Richtige« zu tun. Mögliche Ängste werden rechtzeitig ab-
gebaut. Dem wirklichen Kursbeginn wird danach freudig entgegen gesehen.
Nicht üblich, insbesondere zögerliche, ängstliche Kinder sehen ein unbekanntes, bedrohlicher werdendes Großprojekt auf sich zukommen und blockieren daher nicht selten bei Kursbeginn.
Kinder können bereits im Kindergartenalter – also ab ca. 3 Jahren – starten und sind entsprechend früher als ihre Altersgenossen im Wasser zu Hause.Kinder starten im Grundschulalter, das heißt frühestens ab 6 Jahren, häufig jedoch erst mit 8-9 Jahren.
Erfolgsbasis ist das Vertrauen des Kindes zur Lehrkraft. Es wird vor allem durch die direkte Hilfestellung im Wasser aufgebaut. Sie erfolgt so lange und
so oft wie nötig. Das Vertrauen zur Lehrkraft wird vom Kind auf das Wasser übertragen und mündet in gesundem Selbstvertrauen.
Lehrkräfte unterrichten vom Beckenrand aus und »dirigieren« die Kinder nicht selten mit einer Alustange. Die Kinder fühlen sich als hilflose Kommandoempfänger. Aus ihrer Perspektive ist die Lehrkraft ein wenig Vertrauen schaffender, Befehle erteilender »Riese« außerhalb des Wassers und der eigenen Reichweite.
Ganzheitlicher pädagogischer Ansatz, bei dem vor allem der individuelle Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt wird. Kinder lernen entsprechend ihrem persönlichen Leistungsniveau und müssen individuelle motorische Lernprozesse keinem starren Lehrplan anpassen. Fazit: weniger
Leistungsdruck, weniger Frustration.
Der vorgegebene Lehrplan wird konsequent eingehalten. Der individuelle Entwicklungsstand sowie die motorische Reife des einzelnen Kindes bleiben zu oft außer Acht. Kinder geraten dabei leicht unter Leistungsdruck – mit der Gefahr von Frust und Blockade.
Intensiver »Projektunterricht« während der entscheidenden Lernphase zum selbstständigen Schwimmen. Unterricht an 3 Tagen pro Woche ermöglicht zügiges Lernen: Die Chance Gelerntes zu vergessen oder Ängste zu entwickeln ist
deutlich geringer. Was später oftmals im sicheren Klassenraum Sinn macht, ist erst Recht beim Erobern eines neuen, noch fremden Elements sinnvoll.
1x wöchentlicher Unterricht. Durch lange Pausen zwischen den Unterrichtseinheiten wird Gelerntes schneller vergessen und mögliche Ängste bauen sich stärker auf. Es geht die berühmten zwei Schritte vor – und einen zurück.
Die Umkehr des Schreckreflexes, die Orientierungsfähigkeit unter Wasser und das passive Schwimmen  sind zentrale, im Wasser lebenswichtige Fähigkeiten, mit denen die Kinder bereits von Anfang an einfühlsam und dennoch intensiv konfrontiert werden. Das Ergebnis: Schnelle Vertrautheit mit dem Wasser und
sicheres Bewältigen der alltäglichen Hürden und Missgeschicke.
Die überragende Bedeutung dieser Fähigkeiten ist hier entweder unbekannt oder spielt nur an wenigen Stellen eine untergeordnete Rolle. Der Unterricht ist zumeist starr auf korrekt ausgeführte
Bewegungsabläufe ausgerichtet und vernachlässigt dadurch zu oft und in jedem Alter die notwendige Sicherheit.
Hohe Übungsintensität durch das häufige Schwimmen von Kurzstrecken mit früher Eigenverantwortung beim scheinbar »wenig geordneten« Schwimmen. Während des Kurses finden bereits ca. 500
freiwillige, kontrollierte Sprünge und über 1000 bewusste kleine Tauchversuche statt.
Scheinbar besonders geordneter Unterricht geht zu Lasten der Intensität. Springen und Tauchen werden in Form von Mutproben eher selten angeboten. Ergebnis: Die Kinder können sich »über
Wasser halten«, sind aber unzureichend mit dem Wasser vertraut und damit in ungewohnten Situationen weiterhin besonders gefährdet.
Sicherheit durch vielseitige motorische und situative Aufgaben. Kinder lernen in natürlicher, kindgemäßer Form. Das besonders schwer zu erlernende und wenig ausdauernd zu bewältigende Brust-
schwimmen spielt zunächst nur eine untergeordnete Rolle!
Die Methodik orientiert sich primär an der anspruchsvollsten Art des gesamten Sportschwimmens, dem Brustschwimmen. Weil die Kinder damit im Kindergartenalter regelmäßig überfordert sind, wird das Schwimmen erst sehr viel später angeboten.
Die Kinder dürfen hier zur Belohnung für gutes Mitmachen mit »dünneren« Schwimmflügeln schwimmen, sich »tiefer« im Wasser verstecken und am Ende der Stunde einen »Flug« vom Beckenrand machen. Das schafft Anreize, baut Ängste ab und erzeugt Sicherheit und Selbstvertrauen.Mit den Anweisungen »Wir machen jetzt. . . « oder »Du musst nun. . . « kommen ältere und robuste Kinder meist gut zurecht. Vorsichtige und Ängstliche enden sehr schnell als »wasserscheue Versager«. Mehr noch: Hier wird oftmals eine lebenslange negative Einstellung gegenüber dem gesamten Sport geprägt.
Kontinuität schafft Sicherheit. Das gilt in Hinblick auf die Bezugsperson, die Zusammensetzung der Gruppe und die zeitliche Durchführung.Sowohl Schichtbetrieb als auch »unverbindliche Lerngruppen« mit häufig wechselnden Teilnehmern erschweren besonders bei jüngeren Kindern den notwendigen Vertrauensaufbau.
Eine kindgerechte Lernumgebung erzielt positive Wirkung. Wenn Wasser-, Lufttemperatur und Ausstattung stimmen, stimmt die Atmosphäre.Häufig sind Wasser- und Lufttemperatur zu niedrig. Die Kinder können sich nicht wohl fühlen und daher auch nicht entspannt und konzentriert lernen.
Natürliches und konsequentes »Hineinwachsen« in die notwendigen Verhaltensregeln am und im Wasser schließt Spaß und Freude am Unterricht nicht aus. Kinder erwerben in dieser ersten Schulsituation soziale Kompetenzen durch wichtige Erfahrungen beim Lernen in der Gruppe.
Das hat häufig positive Auswirkungen auf den Kindergarten- und Schulalltag.
Allein der Ordnungsrahmen lässt dem »Erleben« der Spielregeln zu wenig Raum. »Auswendig Lernen« tritt an Stelle von praktischer, situationsgerechter Anwendung.
Abzeichen sind nur ein positiver Nebeneffekt. Im Vordergrund steht der gemeinsame Erwerb von Fähigkeiten sowie Spaß und Freude an der vielseitigen Bewegung im Wasser.Oft steht der Erwerb von Abzeichen im Vordergrund. Es sagt aber kaum etwas über die Sicherheit und das wirkliche Leistungsvermögen aus.
Gläserner Unterricht. Wenn die Bedingungen es erlauben, sollten Eltern den Unterrichtsbereich einsehen und das Geschehen von außen verfolgen können. Sie sind so immer auf dem Laufenden und
das schafft Vertrauen. Eltern übertragen ihr Vertrauen gegenüber dem Lehrer wieder auf das Kind.
Die Unterrichtssituation ist für die Eltern häufig nicht transparent, der Unterricht findet hinter verschlossenen Türen statt. Es ist den Eltern kaum möglich, diesen wichtigen Lernprozess ihres Kindes zu beobachten und zu begleiten.
Auf den intensiven Anfangsunterricht (der auch hier in der Regel mit dem Erwerb des Seepferdchenabzeichens endet) folgen wöchentliche Aufbaukurse bis zum Einstieg in das Sportschwimmen. Sie festigen und erweitern die erworbenen Fähigkeiten.Häufig keine – oder nur für bereits erkannte Talente vorgesehene – weiterführende Kurse. Fazit: Die frisch erworbenen Fähigkeiten werden leicht wieder verlernt. Sowohl Kinder als
auch Aufsichtspersonen überschätzen dann schnell die tatsächlich noch bestehenden Fähigkeiten. Leider oft mit fatalen Folgen. Zögerliche Kinder und »Spätentwickler«, die auch im Schwimmsport die breite Masse bilden, bleiben »unentdeckt«.
Kinder, die an anderer Stelle bereits als »gescheiterte Versager« oder »wasserscheue Angsthasen« abgestempelt wurden, steigern hier parallel zum
Schwimmen schnell ihr Vertrauen und Selbstbewusstsein.
Überfordert man Kinder durch zweifelhafte frühe Mutproben, hat das oftmals lebenslang anhaltende negative Folgen für die Einstellung zum Sport und
das gesamte Freizeitverhalten. Mehr dazu im Kapitel “Unterrichtsopfer”.

Letzte Schwimmstunde

von Uwe Legahn Veröffentlicht am 20.04.2018

Donnerstag, 18. Dezember. Allerletzte Unterrichtsstunde im Alstertal Hamburg. Für die Kinder des Anfängerkurses ebenso wie für mich. Und alle Eltern sind mit im Bad, wollen die Erfolge ihrer Sprösslinge am Kursende noch einmal sehen.

Zu Beginn zeige ich den Kindern, die bereits gestern ihr Seepferdchenabzeichen geschafft haben, die Urkunden und Abzeichen. Gemeinsam kommen wir zu dem weisen Entschluß, erst einmal die Eltern mit den Erfolgssymbolen zu beehren, weil man ja im Wasser schlecht darauf aufpassen kann.

Nebenher die besorgte Frage einer Mutter: „Kann es Celine heute noch mal versuchen? Sie war gestern zum Kindergeburtstag ihrer Freundin eingeladen. Die Zusage, dass alle Kinder „heute noch mal dran kommen“, nahm sie erleichtert auf: „Na, dann ist es gut! Celine ist nämlich unheimlich ehrgeizig und wäre sehr traurig, wenn sie am Ende ohne Abzeichen da stünde!“ Gleichzeitig kam nun erstmalig auch Celines Vater hinzu, den ich zwischendurch mit einem kurzen Kopfnicken grüßte. (Ich war ja schließlich mit den Kindern beschäftigt) Dennoch ertappte ich mich dabei, wie ich nebenher versuchte, den Vater einzuordnen. Ich kannte ihn. Nur wo her? Wasserball?, alter Harburger?, ehemaliger Schüler?, Seminare? Egal, wird dir schon wieder einfallen. Aber doch blöd, wenn das Gedächtnis nachlässt.

Die letzten vier Kinder absolvierten alle nacheinander ihre Aufgaben für das Abzeichen. Also schnell raus aus dem Wasser und die Urkunden ausfüllen. Celine war die letzte in der Reihe. Und als ich ihren Nachnahmen las, wußte ich auch, woher mir ihr Vater bekannt war.

Nach Kindern von Senatoren, Bundesministern, bekannter Wirtschaftsbosse und anderer Promis nun auch die Tochter eines Fußballbundesligatrainers. Aber er ist doch nicht mehr beim HSV?! Man sollte sich doch öfter mal die Sportschau gönnen!

Ganz ehrlich: Jeder gezeigte Vertrauensbeweis aus Kinderaugen, jedes gesprochene Dankeschön von Eltern und Kindern, jedes verschämt überreichte, von Kinderhand gemalte Bild, jedes stolze „davon hüpfen“ eines ehemaligen kleinen Angsthasen ist der Extrabonus zum Lohn unserer alltäglichen Arbeit. Aber ich meine auch, dass es eine Auszeichnung  für die „besondere Schublade“ ist, wenn sich ein Topsportprofi am Kursende – fernab aller Kameras und sensationsheischender Journalisten -, einfach nur wie ein ganz normaler, dankbarer und ein wenig stolzer Vater spontan per Handschlag für die nette Betreuung seiner Tochter bedankt und deine Arbeit lobt. Danke Frank Pagelsdorf.


Weg vom Brustschwimmen als Erstschwimm-Art!

von Uwe Legahn Veröffentlicht am 24.02.2018

Will man bei Wikipedia etwas über die Geschichte des deutschen Schwimmunterrichts erfahren, findet man folgendes:

Ab 1810 fand der Schwimmunterricht als Massenunterricht, zunächst in Militärschwimmschulen, statt. Im Deutschen Reich gelang erst um 1925 die Loslösung von der mechanistischen Sicht des Schwimmenlernens durch Kurt Wiessner. Dieser räumte der Wassergewöhnung wieder einen höheren Stellenwert ein und war ein Verfechter des gerätelosen Schwimmunterrichts. Statt mit Zählkommandos ließ er die Schüler die Bewegungsabläufe schwungvoll und von Anfang an im Wasser ausführen. Er gilt damit als Wegbereiter der modernen deutschen Schwimmausbildung, die mit Brustschwimmen beginnt.

Diese Praxis wird einerseits von Sportpädagogen seit Jahren als veraltet und nicht kindgerecht kritisiert, ist aber in der Praxis nach wie vor im deutschsprachigen Raum weitestgehend üblich.

Aktuell wird in den Führungsebenen der deutschen Schwimmlehrinstitutionen das Brustschwimmen als Erstschwimmart zumindest in Frage gestellt – nur die DLRG-Führung (Deutsche Lebensrettungs Gesellschaft) beharrt ausdrücklich auf dem Brustschwimmen. Umfragen des Bundesverbandes für Aquapädagogik – BvAP unter Praktikern (Lehrer, Schwimmmeister, Übungsleiter des DSV (Deutscher Schwimmverband) und DLRG bestätigen jedoch, dass deutschlandweit (und ebenso in Österreich, Schweiz und Ungarn) nach Aussagen der befragten Fachleute das Brustschwimmen zu 80 bis 90 Prozent nicht nur zuerst, sondern meist ausschließlich gelehrt wird.

Der Aquapädagogik nahestehende Sportpädagogen sehen im Brustschwimmen wesentliche Nachteile:

  1. Weil die nötigen motorischen Fähigkeiten in Hüft-, Knie- und vor allem Fußgelenken naturgemäß bei jungen Kindern noch nicht komplett entwickelt sind, führt das Erlernen der korrekten Beinbewegungen des Brustschwimmens (als Grätsche oder Froschbewegungen bekannt) nur selten zum Erfolg. Das wirkt sich besonders bei jungen, zögerlichen und ängstlichen Kindern zwischen ca. drei bis sechs Jahren (aber auch bei zahlreichen älteren Anfängern) aus, die sich allein auf Grund ihres Entwicklungsstandes kaum auf das komplexe Bewegungsmuster konzentrieren können. Den Befürwortern des Brustschwimmens ist das bekannt und daher vertritt man dort die Meinung, Kinder können frühestens im Alter von fünf Jahren schwimmen lernen. Der Unterricht in den Schulen wird meist im dritten oder vierten Schuljahr durchgeführt. Das kuriose Ergebnis: Obwohl das Brustschwimmen mit weitem Abstand „bevorzugt“ gelehrt wird, beherrschen anschließend die wenigsten Normalschwimmer symmetrische Beinbewegungen.
  2. Die DLRG-Verantwortlichen meinen ferner, dass beim Schwimmen die hohe Kopfhaltung über Wasser nötig ist, weil nur so eine Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler möglich ist. Ferner verweisen sie auf die Tatsache, dass jüngere Kinder meist noch den Nachteil des vergleichsweise großen Kopfes mitbringen, den sie nur sehr kurzzeitig beim Brustschwimmen über Wasser halten können – beide Argumente sprechen für die DLRG zusätzlich für einen späten Beginn.
  3. Zuerst werden meist die Beinbewegungen geübt, in der Regel an bzw. gegen einen festen Widerstand (Treppe oder Beckenrand), was den Schülern das Erleben des erzeugten Erfolges (Vortrieb) vorenthält. Daher wird diese Übung sehr schnell als langweilig/ demotivierend  wahrgenommen und kaum Lernfreude und Ehrgeiz geweckt. Anschließend kommt das Schwimmbrett zum Einsatz, was wiederum bei den schwachen Schülern dazu führt, dass sie den Eindruck haben, sich nun vorwiegend auf die Kontrolle dieses als Lebensversicherung wahrgenommenen Geräts konzentrieren zu müssen und daher kaum ein Gedanke für die Aufgabe „Beinbewegungen“ frei bleibt.
  4. Den größten akuten Minuspunkt des Brustschwimmens sehen die kritischen Sportpädagogen sowie Kinder-und Sportmediziner jedoch in der seit Mitte der sechziger Jahre üblichen Art der Beinbewegungen, der so genannten Schwunggrätsche. Bewegte man zuvor die Beine tatsächlich froschähnlich, d.h. mit weit geöffneten Knien, hält man beim kompletten Bewegungsablauf der Schwunggrätsche die Knie möglichst nahe aneinander bzw. geschlossen und führt mit Unterschenkeln und Füßen kreisähnliche Bewegungen aus. Diese Art zu Schwimmen ist deutlich schneller als die alte Variante, ließ zu Anfang alle Rekorde des Brustschwimmens explodieren und wird seither im sportlichen Bereich ausschließlich praktiziert. Doch hier arbeitet man gegen die Natur und gegen die kindliche Entwicklung! Es wird zwangsläufig versucht, den Kniegelenken, die von Natur aus als „Scharniergelenke“ funktionieren, die Fähigkeiten von Kugelgelenken anzutrainieren, denn nur so sind die kreisförmigen Bewegungen zu realisieren. Werden dazu bereits im Lehrbereich und erst recht im späteren Schwimmtraining sogar die Oberschenkel zusammen gebunden oder mit Zugapparaten und Gewichten trainiert und das, obwohl die Kinder noch mehrere Wachstumsphasen vor sich haben, begibt man sich nach Meinung der Kritiker in die Nähe von bewusster Körperverletzung.
  5. Die Schwunggrätsche beinhaltet zusätzlich großes Potential für mögliche Spätfolgen – je intensiver trainiert wurde, je mehr: Unweigerlich werden die Innenbänder der Knie gedehnt bzw. überdehnt obwohl man weiß, dass sich überdehnte Bänder kaum wieder zurück entwickeln. Nur die mit den Bändern verbundenen Muskeln können die Straffung der Bänder übernehmen, was meist zuverlässig geschieht, so lange weiterhin trainiert wird. Die Probleme zeigen sich erst, wenn die Sportkarriere beendet ist, das Training deutlich reduziert wird und die Muskulatur erschlafft. Die Folgen: Instabile Kniegelenke (Schlackerknie) mit erhöhtem Verschleiß, vermehrtem Verletzungsrisiko und häufig ständigen Schmerzen.
  6. Macht man als Normalschwimmer viele Jahre später schmerzvolle Erfahrungen mit den ersten Rückenbeschwerden, wird zur Therapie meist das Schwimmen als besonders gesunde Sportart empfohlen. Doch abgesehen vom Delphinschwimmen, was nur gute Schwimmsportler beherrschen, wird beim Brustschwimmen die Wirbelsäule besonders belastet. Brustschwimmen ist die einzige Schwimmart, deren Vortrieb vorwiegend durch die Beinbewegungen entsteht. Der Körper wird geschoben, die Wirbelsäule vor allem in der Problemzone Lendenwirbel im Takt der schiebenden Beinbewegungen mehr oder weniger intensiv und ruckartig gestaucht und somit die Bandscheiben weit mehr belastet als entlastet. Bei den anderen drei Sportschwimmarten (Kraul, Rücken und Delphin) wird der deutlich überwiegende Teil des Vortriebs durch die Arme erzeugt – der Körper wird vorn gezogen, die Wirbelsäule somit gestreckt und die Bandscheiben ständig entlastet.
  7. Wer in dieser Situation zum deutlich überwiegenden Bevölkerungsteil gehört, der in Folge des herkömmlichen Schwimmunterrichts keine symmetrischen, parallelen, gleichförmigen – und damit „sportgerechten“ – Beinbewegungen durchführt, sondern mit der so genannten „Schere“ schwimmt, traktiert die Lendenwirbelsäule noch gravierender: Mit jeder regelmäßigen Stauchung ist dort unweigerlich eine zusätzliche Dreh/Querbewegung des Beckens verbunden, die sich für jede vorgeschädigte Bandscheibe äußst negativ auswirken muss, d.h., die vorhandenen Rückenprobleme werden eher verstärkt als gelindert.
  8. Hat man im Verlauf des bei Wikipedia als  „modern“ bezeichneten deutschen Schwimmunterrichts nur die Fähigkeit erwerben können, sich in der Bauchlage ständig mit dem Kopf über Wasser zu bewegen, kommt ein weiterer Nachteil hinzu: Die Nacken- und Schultermuskulatur befindet sich ohne Entspannung im Dauereinsatz, was für diesen ebenfalls sehr sensiblen und oftmals bereits lädierten Rückenbereich zumindest gesundheitlich bedenklich ist. Als Vorteil bleibt dann nur noch die Möglichkeit der ungehinderten Kommunikation.
  9. Zusätzlich sind sich die erfahrenen und vorausschauenden Schwimmexperten weltweit darin einig, dass das Brustschwimmen die koordinativ anspruchsvollste Schwimmart darstellt – unabhängig davon, welchen Lern-, Übungs- oder Trainingsbereich sie betreuen. Und weil sie ihren Schülern den Weg in sportgerechte Bewegungen nicht von Anfang an verbauen wollen, überlegen sie daher sehr genau, in welcher Reihenfolge sie ihre Schüler mit welchen Aufgaben konfrontieren. So bereitet neben den zuvor bereits aufgezeigten Problemen der „Grätsche“, dem noch sehr großen, schweren Kopf junger Kinder sowie den Belastungen von Gelenken und Wirbelsäule vielen Anfängern die Koordination, das Zusammenspiel von Arm- und Beinbewegungen sowie von Gesamtbewegung mit angepasster Atmung größte Schwierigkeiten. Ignoriert man diese Bedenken von Anfang an, missachtet man nicht nur den sportpädagogischen Grundsatz „Vom Leichten zum Schweren“ sondern vermittelt den Anfängern meist nur wenig mehr als die Fähigkeit, sich in der Bauchlage (allzu oft nur sehr unsicher) über Wasser halten zu können, was mit sicherem oder gar sportgerechtem Schwimmen kaum etwas gemein hat. Die Beweise erkennt man sofort bei jedem Besuch eines öffentlichen Schwimmbades auf jener Seite, wo sich die „Normalschwimmer“ tummeln.

Neben diesen spezifischen Nachteilen des Brustschwimmens bemängeln die kritischen Sportpädagogen weitere gravierende Schwachpunkte des herkömmlichen deutschen Schwimmunterrichts:

  • Der Focus liegt nicht auf sicherem Schwimmen, sondern sofort auf sportgerechten Bewegungsmustern und zwar im Zusammenhang mit der schwierigsten Schwimmart, dem Brustschwimmen.
  • Vielseitige Ausbildung erfolgt kaum, freie Bewegungsformen bzw. Mischformen sind verpönt. Derart schwimmende Kinder werden nicht selten trotz großer Wassersicherheit in Nichtschwimmergruppen beordert und mit schlechten Schulnoten bestraft.
  • Immer weniger Übungsraum bewirkt oftmals, dass nur begabte Kinder ausreichend gefördert werden – die Ängstlichen, Schwachen bleiben zurück. Egoismen der verschiedenen Institutionen (die ihren Übungsleitern indirekt Scheuklappen und Maulkörbe verordnen) verhindern nicht nur den Blick über den Beckenrand sondern auch Kooperationen zur Effektivitätssteigerung des Unterrichts.
  • Durch den späten Unterrichtsbeginn (Begründet durch das Beharren auf dem Brustschwimmen) werden mehrere Jahre Wassersicherheit und die reelle Chance auf eine deutliche Senkung der Ertrinkungsfälle verschenkt.
  • Internationale Fachkongresse belegen seit rund zwanzig Jahren, dass der angeblich moderne deutsche Schwimmunterricht inzwischen als total veraltet, pädagogisch und medizinisch bedenklich und auch dem Sportschwimmen nicht dienlich ist. Bereits ebenso lange findet dort das in diesem Blog vorgestellte deutsche Alternativkonzept der “Aquapädagogik” Beachtung.

Mit Brustschwimmen hält man sich gerade so über Wasser

von Uwe Legahn Veröffentlicht August 2017

Deutsche Kinder können immer schlechter schwimmen. Schuld ist der deutsche Schwimm-Mainstream, sagt der Lehrer Uwe Legahn. Das gesamte „Zeit Online“-Interview vom Sommer 2017 finden Sie hier: Hier klicken


Wie Max bei Herrn Legahn schwimmen gelernt hat

von Uwe Legahn Veröffentlicht am 23.11.2007

Als unser Sohn Max kleiner war, stand er vor der großen Fensterscheibe der kleinen Schwimmhalle  in Maschen hinter dem Rewe-Markt und sah den Kindern zu, die dort Schwimmunterricht hatten. Er wollte unbedingt reingehen und mitmachen. Dort sagte man uns, Schwimmenlernen klappt frühestens mit vier. Noch so lange – mehr mein Problem, denn Max zeigte in der Zwischenzeit beim direkten Kontakt mit Wasser kein Interesse mehr. Im Gegenteil, es machte ihm Angst. Wenn wir in Frankreich Urlaub machten, mochte er lange nicht mal unten am Wasser buddeln und Sandburgen bauen.

Wir haben es dann auch an anderen Stränden probiert, wo das Wasser wärmer und kindgerecht lange flach bleibt, aber auch da wollte er nicht reingehen, nicht mal mit uns im Gummiboot. Im Freibad und in der Badeanstalt ging er nur ins Planschbecken. Ich habe mir dann schon sehr gewünscht, dass jemand Max helfen könnte, seine Angst vor dem Wasser zu überwinden und er lernen könnte, dass Wasser Spaß machen kann. Wir konnten ihm das jedenfalls nicht glaubhaft vermitteln, obwohl wir uns bemühten und auch ziemlich regelmäßig an den Wochenenden Schwimmen gingen.

Mit welchen Mitteln Herrn Legahn das gelungen ist, weiß ich nicht genau. Wir Eltern sind nicht in der Halle, wo unsere Kinder schwimmen lernen, sondern sitzen draußen und sehen durch die Scheibe zu. Fakt ist, dass Max jetzt schwimmen kann und auch Spaß im Wasser hat. Wenn wir jetzt mit ihm am Wochenende Schwimmen gehen, möchte er gerne ins ganz tiefe Wasser und zeigt uns dann, wie Schwimmen geht. Ich glaube, er ist sehr stolz auf sich, auf das, was er bei Herrn Legahn gelernt hat und darauf, wie gut er das jetzt kann.

Dabei war das für Max wirklich nicht leicht, die Sache mit dem Schwimmen-lernen. Die Anstrengung, das Wasser im Gesicht, machen müssen was jemand anderes sagt, die anderen Kinder. Max kam uns so einsam vor, immer etwas abseits von der Gruppe, ein kleiner Junge, der tapfer seine Aufgaben erfüllt. Und jeden Abend vor dem Einschlafen seine bange Frage: „Ist morgen Schwimmen?“  Zwischendurch haben wir überlegt, ob wir den Kurs abbrechen sollen. Haben überlegt, ob wir ihm zu viel zumuten. Ich dachte dann, dass es richtiger ist, dran zu bleiben. Weil ich gesehen habe, dass er Herrn Legahn mag, dass er, als er manchmal am Anfang bei mir geweint hatte, in dem Moment, wo er von Herrn Legahn begrüßt wurde, seine Stimmung schlagartig umschlug, er gute Laune bekam und sich stark fühlte. Weil mich das Konzept der Schwimmschule Legahn auch ganz am Anfang schon überzeugt hatte, bereits beim Probeschwimmen, als alle Kinder ohne Mamas in die Halle sollten und mein Kind auf meinen Arm geflüchtet war und den Kopf wegdrehte. Der Schwimmlehrer, es war in diesem Fall nicht Herr Legahn, sah das und bemerkte: „Ein Kind macht sich ganz besonders große Sorgen!“ Sofort wusste Max, dass er gemeint war, kam von meinem Arm runter und ging an der Hand vom Schwimmlehrer in die Halle – ohne Abschiedsschmerz, ohne Tränen, ohne Angst. Ich wünschte meinem Kind einfach sehr, dass er das lernen kann, neben dem Schwimmen, diesen Umgang mit der Angst, mit der Anstrengung, mit einer Sache, die auch unangenehme Seiten hat. Dass er lernt, dass er da durchkommen kann und am Ende stolz sein kann auf sich selbst. Etwas geschafft ohne Mama, ganz allein geschafft mit der Hilfe von jemand fremden, der kompetent ist und dem er vertrauen kann. Dem er vertrauen kann, weil er wahrgenommen wird, weil Herr Legahn ihn von da abholt wo er ist, wie man so sagt.

Ja, Max hat sein Seepferdchen gemacht, als einziger am letzten Tag des Intensivkurses, am Ende der Stunde. Die anderen hatten es schon vorher geschafft. Herr Legahn hatte zu Stundenbeginn gesagt, er glaubt, dass Max es heute schafft und dann war es so. Max war einfach so weit und hat das dann einfach gemacht, durchgezogen. Das hat mich unglaublich gefreut, wie das abgelaufen ist.

Und auch wenn Max abundzu noch, zwar nicht mehr vor dem Einschlafen, fragt: „Ist morgen schwimmen?“ und ich merke, er ist erleichtert, wenn ich nein sage, weiß ich, dass Wasser inzwischen sein Freund ist, zwar nicht sein bester, aber ein ziemlich guter. Und das freut mich, weil es eben nicht nur um die Sache mit dem Wasser und dem Schwimmen geht.

Silke R., Nov. 2007